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100 Jahre WSB

Bergedorf auf dem Weg ins Jahr 2035

WSB im Gespräch mit Arne Dornquast: WSB sieht viele Stellschrauben, an denen dringend gedreht werden sollte

Im Bürgermeisterzimmer des Rathauses Gero Tuttlewski und Thomas Buhck vom WSB diskutieren unter Moderation von Ulf-Peter Busse (Bergedorfer Zeitung) mit Bezirksamtsleiter Arne Dornquast (v. li.) über Bergedorfs wirtschaftliche Zukunft. FOTO: NEFF
Im Bürgermeisterzimmer des Rathauses Gero Tuttlewski und Thomas Buhck vom WSB diskutieren unter Moderation von Ulf-Peter Busse (Bergedorfer Zeitung) mit Bezirksamtsleiter Arne Dornquast (v. li.) über Bergedorfs wirtschaftliche Zukunft. FOTO: NEFF
Bergedorf. 150.000 Einwohner, viele neue Wohnquartiere, großer Forschungspark am Schleusengraben: schöne Aussichten für Bergedorf? Oder droht der Abstieg zur Schlafstadt Hamburgs? Thomas Buhck und Gero Tuttlewski, beide WSB, im Gespräch mit Bezirksamtsleiter Arne Dornquast. Die Fragen stellte Ulf-Peter Busse (Bergedorfer Zeitung).

Wo sehen Sie Bergedorf im Jahr 2035, auf das das aktuelle Bergedorfer Entwicklungskonzept zielt?

Dornquast: 2035 wird Bergedorf etwa 150.000 Einwohner haben. Es wird in der Wahrnehmung der Menschen immer noch eine eigene Stadt sein. Es wird ein Standort sein, der wirtschaftlich mindestens so erfolgreich ist wie heute, durch einige Forschungs- und Innovationsbetriebe angefeuert. Die Menschen werden hier gern leben und sich als Bergedorfer fühlen.

Buhck: Wir als Wirtschaft fühlen unser mutigt, wenn der Bezirksamtsleiter den eigenständigen Charakter Bergedorfs als Teil der Metropole Hamburg auch für die Zukunft unterstreicht. Genau das ist es, was unseren Stadtteil so lebenswert macht. Der schöne Garten im Osten von Hamburg ist der Markenkern, den wir erhalten wollen. Aber nicht im Sinne, alles so zu belassen, wie es ist, sondern weiterzuentwickeln, damit dieser Markenkern auch noch Gültigkeit hat, wenn wir erstmal 150.000 Einwohner erreicht haben. Das wird eine Herausforderung. Denn trotz des großen Zuzugs müssen sich auch die Menschen noch wohlfühlen, die heute schon in Bergedorf zu Hause sind.

Aktuell wie auch in Zukunft droht ein extrem hohes Maß an Wohnungsbau. Denn Bergedorf ist in Hamburg der Bezirk mit den meisten freien Flächen. Wie soll mit diesem Potenzial umgegangen werden, damit es Bergedorf als gefühlte Stadt auch in Zukunft noch gibt?

Tuttlewski: Man muss sich dem rasanten Wohnungsbau stellen. Hier ist Bergedorf zwar in der Pflicht, seinen Beitrag für die Stadt Hamburg zu leisten. Trotzdem braucht das Augen maß. Und da wünschen wir als WSB, dass die Ausweisung von Gewerbeflächen Schritt hält mit dem Wohnungsbau, gern auch als gemischt genutzte Flächen mit Wohnen und Arbeiten. Wir müssen darauf achten, keine Monostrukturen zu bauen, sondern Viertel und Quartiere, in denen die Menschen gern wohnen und arbeiten wollen. Das hat Bergedorf in der Vergangenheit immer gut hinbekommen, und das sollten wir für die Zukunft auch als Ziel anvisieren.

Herr Dornquast hatte den Forschungs- und Innovationspark am Schleusengraben beim Blick in die Zukunft besonders herausgehoben. Ist das tatsächlich das Bergedorfer Gewerbe der Zukunft?

Buhck: Wir freuen uns über jedes Gewerbe, das sich hier in Bergedorf ansiedelt. Da ist es natürlich eine gute Chance für den Standort, sich mit zukunftsgerichteten Technologien auseinanderzusetzen. Dafür brauchen wir ausreichend Flächen. Aber wir müssen auch die Bergedorfer Brille aufsetzen, was heißt: Wir haben hier bereits Unternehmen, die auch wachsen und sich weiter entwickeln wollen. Bergedorf tut gut daran, eine Diversität an Unternehmen zu fördern. Mono-Cluster, wie es jetzt neudeutsch heißt, sind nicht in jedem Fall die Lösung. Es braucht für alle Unternehmen Flächen-Perspektiven.

Welche Betriebe haben Sie im Blick, Herr Dornquast, wenn es nicht allein um Forschung und Innovation geht?

Dornquast: Bergedorf hat heute einige unternehmerische Schwerpunkte. Logistik gehört dazu, auch wenn das ein schwieriges Thema ist, was Flächen und Verkehr angeht. Diese Branche gibt vielen Menschen Arbeit, besonders solchen, die keinen akademischen Abschluss vorweisen können. Auch für sie werden wir in Bergedorf künftig gute Bedingungen vorhalten. Ein anderer typisch Bergedorfer Bereich ist der Maschinenbau, wo wir Unternehmen von Weltrang haben. Ein Bereich, der weiterhin viel Augenmerk fordert, gerade im Zusammenspiel mit Forschung und Innovation,weil ja auch deren Erfindungen marktgerecht angewendet werden sollen. Hier will ich beispielhaft das Laser-Zentrum nennen, das sehr viel Zukunftstechnologie im Sinne der Industrie 4.0 liefert, die Forschung also anwendungsgerecht macht. Ferner werden wir im Bereich Life-Science und Gesundheitswissenschaften unsere Stärken weiterentwickeln. Ich würde als viertes Cluster, mit etwas geringerer Bedeutung und Beschäftigtenzahl, den Tourismus nennen.

Ist ein Gewerbestreifen südlich der Autobahn denkbar?

Dornquast: Jetzt ist die Autobahn nicht Rückgrat, sondern Grenze der Stadtentwicklung. Das ist über viele Jahrzehnte so gewünscht und gewollt gewesen. Nun werden wir im Rahmen des Bergedorfer Entwicklungskonzepts die Frage diskutieren müssen, ob das auch für die Zukunft noch gilt.

Die Hoffnung auf Ansiedlungen im Forschungs- und Innovationsbereich ist groß. Aber ist der Bezirk als Wohnort überhaupt attraktiv genug, um dessen hochqualifizierte Mitarbeiter anzulocken? Oder fühlen die sich in Bergedorf doch zu weit draußen aus der großen Stadt?

Tuttlewski: Wir als Verband und viele unserer Mitglieder haben die Erfahrung gemacht, dass wir diese Mitarbeiter noch finden. Viele lernen die Attraktivität dieses Standorts allerdings ehrlicherweise erst dann kennen, wenn sie sich hier angesiedelt haben. Vorallem wenn sie hier eine Familie gründen. Das ist ein großes Plus von Bergedorf, das es zu bewahren gilt.Vor allem müssen wir uns darum kümmern, die Funktionen eines Oberzentrums zu erhalten, gerade im Wettkampf mit den Städten und Gemeinden des schleswig-holsteinischen Umfelds und auch der Hamburger City. Das ist kein Selbstgänger, sondern muss aktiv vorangetrieben werden. Die Attraktivität Bergedorfs steht deshalb ganz oben auf der Agenda des WSB.

Buhck: Nach unserer Einschätzung folgt der Arbeitnehmer in erster Linie dem attraktiven Job. Deshalb ist es an uns als Unternehmer, genau diese Arbeitsplätze in Bergedorf auch zubieten. Und dafür darf die bezirkliche Priorität nicht nur auf Wohnen liegen, sondern darauf, die Grundlage für gute Arbeitsplätze zu schaffen.

Muss Bergedorf in Konkurrenz zu anderen Stadtteilen noch an seinem Markenkern arbeiten? Man wollte ja bisher nicht automatisch hierher ziehen, wenn man in Hamburg einen Job bekommt. Dabei ist Bergedorf durchaus attraktiv, etwa durch sein riesiges Villengebiet. Nur ist das weithin unbekannt. Muss das verbessert werden?

Dornquast: Ich nutze jede Gelegenheit, für den Standort Bergedorf als Lebensort zu werben. Das verfängt nicht bei Menschen, die zwischen 20 und 35 sind und gut gebildet. Das muss man mal ganz klar sagen. Und es ist auch nicht vernünftig, genau sie anzuwerben. Dafür ist die große Stadt mit ihren vielen Vorzügen für diese Generation einfach zu nah. Andererseits ist Bergedorf ein sehr geeigneter Ort für alle, die in die Familienplanungsphase eintreten – für nahezu jeden Geldbeutel.

Buhck: Ein Szeneviertel ist Bergedorf tatsächlich bisher nicht. Und ob es dazu mal wird, hat sicher auch mit dem einen oder anderen Zufall zu tun. Aber ich sehe diese Chance als gar nicht so abwegig, denn Hamburg wächst, wie jede Stadt, von innen nach außen. Und irgendwann sind die heutigen Szene-Quartiere dann teure Stadtteile.

Das verlagert spannende Potenziale weiter nach außen, was wir heute schon in Wilhelmsburg und Harburg beobachten. Das kann durchaus auch Bergedorf erreichen. Dafür braucht es allerdings zunächst Wohnraum, vor allem für jene, die hier in Bergedorf studieren.

Ich bin da sehr optimistisch, gerade im Blick auf die Investoren entlang des Schleusengrabens, der in Sachen Gastronomie und Aufenthaltsqualität vielleicht nicht gerade die gewachsene Qualität des Stintfangs von Lüneburg kopieren wird, aber doch eine Qualität erreicht, die Publikum anzieht und Bergedorf attraktiver macht.

Mit dem Bergedorfer Entwicklungskonzept gilt jetzt die Maxime, dass möglichst viele Bürger bei der Entwicklung ihres Bezirks mitreden sollen. Also nicht mehr wie früher, als Politik, Verwaltung und Wirtschaftslobby alles allein bestimmten. Macht der Wirtschaft das Sorgen? Schließlich könnte so manches erhoffte neue Gewerbegebiet kippen.

Tuttlewski: Die rasante Entwicklung der sozialen Medien lässt es gar nicht zu, eine breite Beteiligung der Bürger zu umgehen. Das ist ein Stück Zeitgeist, denn die Leute wollen heute mit reden und mitgestalten. Dabei muss natürlich stets eingefordert werden, dass Kritiker wünscht ist, aber eben konstruktiv sein muss. Das funktioniert in Bergedorf sehr gut, wie verschiedene Beispiele aus der jüngsten Vergangenheit zeigen, darunter die Überarbeitung der Pläne des Stuhlrohrquartiers und natürlich jetzt das Bergedorfer Entwicklungskonzept.

Innenstadtentwicklung ist Teil des Bergedorfer Entwicklungskonzepts. Was gibt es für Ideen, Sachsentor & Co. zukunftsfähig zu machen?

Dornquast: Ganz konkret wird der Bezirk den Serrahn als alten Bergedorfer Hafen aufwerten. Das fördert Erlebnischarakter und Aufenthaltsqualität unserer City. Hier steht die Umsetzung unmittelbar bevor. In Sachen Schlossstraße, deren bessere Anbindung an das benachbarte Sachsentor den Einkaufsstandort erheblich attraktiver machen könnte, schlummern die Pläne leider etwas, weil keiner der Beteiligten Druck macht. Da ist auch planerisch ein ziemlich dickes Brett zu bohren.

Letztes Wort für Herrn Buhck: Finden Sie, dass Bergedorf noch spritziger sein sollte in seiner Entwicklung? Vielleicht noch mehr ausprobieren sollte, als es das derzeit tut?

Buhck: Ein Unternehmen lebt von Innovation und ein Stadtteil oder Bezirk genauso. Ich wünsche mir, dass wir mutig sind in Bergedorf und dass wir Konzepte, die wir besprechen, umsetzen.

Deswegen freuen wir uns als Wirtschaftsverband WSB auf die Entwicklung, die jetzt kommt und die wir mitgestalten wollen.

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