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Themenwelten Hamburg
Abschied

Im Krieg gelebt – in Frieden sterben

Unterstützung von Sterbenden mit Kriegs- und Fluchterfahrungen

Wenn Menschen mit Kriegserfahrungen am Lebensende noch einmal auf ihre Erinnerungen gucken, stehen auch Angehörige oft vor einer großen Herausforderung. Foto: EvrenKalinbacak - stock.adobe.com
Wenn Menschen mit Kriegserfahrungen am Lebensende noch einmal auf ihre Erinnerungen gucken, stehen auch Angehörige oft vor einer großen Herausforderung.
Foto: EvrenKalinbacak - stock.adobe.com
Ist das Lebensende nah, werden Mechanismen, die Erlebtes verdrängt haben, schwächer. Auch Menschen, die Krieg und Flucht erlebt haben, blicken oft erst im Hospiz bewusst zurück. Dies kann auch für Angehörige, Betreuerinnen und Betreuer eine besondere Herausforderung sein. Ein Mann war in den letzten Wochen des Zweiten Weltkrieges Schulkind. Er und seine Klassenkameraden wurden gefragt, ob sie noch kämpfen wollten. Sie wollten, wurden bewaffnet, zogen begeistert in den Krieg und wurden wenig später von feindlichen Panzern überrollt. Der Mann konnte weglaufen und überlebte.

Dieser Mann erzählt seine Geschichte erst Jahre später in einem Hospiz. „Viele Menschen haben bei uns das Bedürfnis, noch einmal das eigene Leben anzusehen“, weiß Metta Schmidt vom Hamburger Hospiz e. V. Seit 17 Jahren begleitet die Sozialpädagogin und Traumatherapeutin Menschen an ihrem Lebensende. „Bei uns haben die Menschen Ruhe und Zeit. Viele Erinnerungen werden dann noch einmal intensiv, alte, lange verdrängte Bilder können hochkommen. Das eigene Leben bekommt noch einmal mehr Präsenz.“

„Wie ein Abdruck im Nervensystem“

Eine alte Frau muss im Hospiz immer wieder weinen, worüber sie selbst sehr irritiert ist. Auch ihr Sohn hatte sie bis dahin immer als „gefühlskalt“ wahrgenommen.

Menschen, die den Zweiten Weltkrieg zum Teil noch bewusst erlebt haben, haben intensive Erfahrungen von Verlust, Hunger und Gewalt gemacht, die meist nicht angesprochen und erst recht nicht verarbeitet wurden. Schmidt: „Die Kriegsgeneration hatte ja keine Zeit für Therapien. Die haben die Städte und ihre Leben wieder aufgebaut. Da ist viel Emotionales in den Hintergrund gerückt. Erschreckende Erlebnisse mussten verdrängt werden, um weiterleben zu können. Darunter haben nicht selten auch positive Gefühle von Wärme und Liebe und Freude gelitten. “

Das Hospiz erfahren Menschen oft als sicheren Ort voller Zuwendung. Manchmal erleben sie dann – scheinbar grundlos – große Angst oder Wut. Schmidt: „Das ist wie ein Abdruck des Geschehens im Nervensystem.“ Es kommt auch vor, dass sich Menschen im Hospiz noch einmal von einer anderen, liebevollen Seite erleben wie die Dame, die plötzlich weinen konnte. Das sei dann eine heilsame Erfahrung, so Schmidt.
    
Den roten Faden des Lebens aufrollen

In einem Gespräch im Hospiz sagt eine Frau eher unvermittelt, dass ihre Mutter im Krieg vergewaltigt worden sei. Danach geht sie nicht weiter auf diese Erinnerung ein.

Manchen hilft es schon, Geschehnisse nur zu benennen. Schmidt: „Dann geht es nicht darum, weiter nachzufragen, aber das damals erlebte Leid und den betroffenen Menschen zu sehen.“ Manchmal fehle es auch schlicht an der Kraft zum Sprechen. Andere erzählen ausführlicher. Zwar wird das Geschehene so nicht ungeschehen, verliert aber etwas von dem Druck des Geheimhaltens, der den Abschied vom Leben zusätzlich belastet. Zuzuhören und Mitgefühl zu zeigen, sei dann besonders wichtig.

Zudem könnten Begleiterinnen und Begleiter helfen, bei der Aufgabe, „den roten Faden des eigenen Lebens aufzurollen“ auch den positiven Erinnerungen Raum zu geben. Zum Beispiel die Kraft des Mannes, die er schon als Schuljunge aufgebracht hat, um sein Leben zu retten. Wenn er das Gefühl von Überlebensschuld auflösen und sich am Ende trauen kann zu sagen „Ich bin froh darüber“, sei das ein großer Schritt.

„Das eigene Leben bekommt am Lebensende noch einmal eine intensive Präsenz“

Metta Schmidt, Sozialpädagogin und Traumatherapeutin

Altes und Aktuelles auseinander sortieren

Eine alte Frau sitzt gedankenversunken im Speisesaal eines Seniorenheims. Als eine andere Frau an ihr vorbeigeht, sieht sie auf. „Die Russin“, zischt sie plötzlich hellwach. Die Enkelin, die neben ihr sitzt, zuckt zusammen.

Auch das ist eine Situation, die Angehörige von (kriegs-)traumatisierten Menschen erleben, die an ihrem Lebensende oder durch Demenz zunehmend den Überblick über ihr Leben verlieren: Vergangenes und Aktuelles verschmilzt. Oftmals helfe es dann, Altes und Aktuelles auseinander zu sortieren, so Schmidt, zu sagen: „Das ist etwas Altes. Jetzt sind wir hier“. „Und wenn dies nicht mehr möglich ist, liegt es an uns, selber in einem wertschätzenden, liebevollen Umgang zu bleiben.“

Ein Grab in der Heimat

Ein junger Mann flieht aus Afghanistan. Er schlägt sich allein durch und kann in Deutschland Fuß fassen. Dann erkrankt er an Krebs. Seine letzten Wochen verbringt er im Hospiz. Es kostet ihn viel Kraft, seine Sehnsucht nach der Heimat und besonders nach seiner Mutter auszuhalten, die noch in Afghanistan lebt.

Längst leben und sterben in Deutschland nicht mehr nur alte Menschen mit Kriegs- und Fluchterfahrungen. Für junge Menschen mit Migrationshintergrund ist der Krieg oft sogar noch aktuelle Realität. Erkranken sie schwer, sind es häufig nicht nur schreckliche Erinnerungen an Krieg und Flucht, die das Lebensende belasten, sondern auch die Angst um die Familie, die Trauer um den Verlust der Heimat und darüber, in der Fremde sterben zu müssen. Schmidt: „Einigen ist es wichtig, dann noch zu regeln, dass sie zumindest in der Heimat beerdigt werden.“ Begleiterinnen und Begleiter können versuchen, diese schwere Situation mit auszuhalten, Kontakt und Vertrauen aufzubauen und trotz Sprachbarrieren Halt und Schutz zu geben. ivo
   
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