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02.11.2017 / Abschied

Musik am Ende des Lebens

Ein Gespräch mit Christa Meyer-Gerlach über die Möglichkeiten, Menschen, die am Ende ihres Lebens stehen, mit Musik zu begleiten und heilsame Momente zu schaffen. Die Hamburger Supervisorin, Musik- und Psychotherapeutin arbeitet unter anderem für das Hospiz im Helenenstift Altona.

Christa Meyer-Gerlach Foto: Privat
Christa Meyer-Gerlach Foto: Privat

Jeder Mensch hat seine persönlichen Bezüge zu bestimmten Liedern, Melodien, Rhythmen und Klängen. Was kann die therapeutische Arbeit mit dieser musikalischen Biographie bewirken?

Im Vordergrund steht in der Regel, zum Wohlfühlen beizutragen: Lieder, mit denen die Menschen besonders schöne Momente verbinden, können dabei unterstützen, diese Erfahrungen noch einmal anklingen zu lassen. Sie können eine willkommene Ablenkung von Trauer, Angst und Schmerz bieten. Sie können an die eigene Stärke der Menschen anknüpfen und so Ressourcen, wie Humor, freisetzen. Musiktherapie kann aber auch Resonanzraum sein für Gefühle, die häufig unausgesprochen bleiben.

Eine solche individuelle, musikalische Begegnung kann nur gelingen, wenn Sie die Menschen, mit denen Sie arbeiten, gut kennen…

Entscheidend ist nicht, wie gut ich einen Menschen kenne, sondern ob es gelingt, in Kontakt zu kommen, mich einzuschwingen. Musik im weiteren Sinne ist längst nicht immer hörbar, sondern zeigt sich auch in Stimmungen und Atmosphären. Die musikalische Therapie ergibt sich aus der Begegnung und erfordert eine große Achtsamkeit und Sensibilität der Therapeutin. Sie muss sich selbst zurücknehmen und sich trotzdem auf die gemeinsamen Suchbewegungen nach heilsamen Tönen einlassen. Die Verbindung eines Menschen zu bestimmten Liedern oder Melodien und die momentane Verfassung sind schließlich absolut einzigartig. Es gibt keine „Trauermusik nach Rezept“, und Musik am Lebensende passt nicht für jeden Menschen. Dies ist unbedingt zu respektieren.

Wir sprechen bisher überwiegend von individuellen Zugängen zur Musik. Welche Rolle spielen neutrale Melodien und körperlich erlebbare Schwingungen von Tönen?

Für manche Menschen ist die biographische Verknüpfung zu emotional. Sie haben eher ein Bedürfnis nach entspannenden Klang- und Resonanzräumen, die den eigenen Atemrhythmus unterstützen. Vor allem, wenn sie mit Schmerzen und starker Anspannung konfrontiert sind. So kann eine Aufmerksamkeitslenkung hin zu einem schönen Klang oder einer gesummten Melodie entstehen. Das leibliche Spüren von wohltuenden Klängen kann dabei helfen, zu einer tiefen inneren Ruhe zu finden. Man kann sich von einem angenehmen Rhythmus sanft wiegen und schaukeln lassen, Gefühle und Gedanken nach und nach loslassen. Oft werden Bilder aus der Natur wachgerufen, die sich für die Menschen zu einem inneren Wohlfühlort entwickeln, den sie immer wieder aufsuchen können.

Was sind das für Instrumente und Klänge, die dabei zum Einsatz kommen?

Ich setze zum Beispiel Klangschalen ein, die Ocean-Drum – eine Trommel, die mit kleinen Kugeln gefüllt ist und Wind oder Meeresrauschen imitieren kann, eine Leier oder das Monochord, ein Saiteninstrument, mit dem Obertöne erzeugt werden. Beim Spielen monochromer Klänge entsteht keine konkrete Melodie, sondern eine Harmonie schwingender Töne. Solche Klänge können auch auf einer spirituellen Ebene ansprechen.

Zwei ganz wichtige Instrumente sind die Gitarre und der Klang meiner Stimme. Denn entscheidend ist auch bei Liedern nicht nur der Text, sondern das „wie“ eines Gesanges. Wir alle wissen, wie schön es für Kinder ist, wenn man ihnen etwas vorsingt oder sie in den Schlaf singt. Dies gilt auch für die meisten Erwachsenen. Manchmal kann das Singen auch den Sterbeprozess selbst begleiten. In anderen Kulturkreisen ist dies eine Selbstverständlichkeit.

Sie arbeiten nicht nur mit einzelnen Personen, sondern auch in Gruppen…

Ja. Manchmal singen wir im Hospiz auch gemeinsam. In der offenen Gruppe, oder wenn meine Musik aus dem Zimmer eines Gastes in den Hospizflur hinein klingt, entstehen so Atmosphären von Teilhabe und Aufgehobensein in einem geschützten Rahmen. Für Menschen, die am Ende ihres Lebens immer wieder vieles von sich preisgeben müssen, kann es eine gesunde Abwechslung sein, in der Musik sich selbst überlassen zu sein, ohne allein gelassen zu werden.

Wie kann Musik auch für Angehörige den Abschiedsprozess von Sterbenden tröstlich begleiten?

Viele kennen den Ausspruch „Musik sagt mehr als tausend Worte.“ Ein gemeinsames Musikerleben kann in diesem Sinn auch ein Gespräch sein, in Momenten, in denen die Worte fehlen oder Sprache nicht mehr zur Verfügung steht. Dies erlebe ich auch dann, wenn Angehörige in der Musiktherapie dabei sind. Es geschieht auch, dass in der Therapie das Bedürfnis nach einem Lied für die Trauerfeier entsteht und vorher oft – auch gemeinsam – gesungen wird. Diese Lieder sind dann eine wunderbare Brücke für alle Beteiligten auch über den Tod hinaus. ivo

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