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Retro-Romantik in den Dolomiten

In Cortina d’Ampezzo lebt der mondäne Charme vergangener Jahrzehnte. Aber man rüstet sich für die alpine Ski-WM 2021 und die Olympischen Winterspiele 2026

Die Pfarrkirche am Corso d‘ Italia mit ihrem 70 Meter hohen Turm dominiert das Zentrum von Cortina d‘Ampezzo. Foto: picture alliance
Die Pfarrkirche am Corso d‘ Italia mit ihrem 70 Meter hohen Turm dominiert das Zentrum von Cortina d‘Ampezzo. 
Foto: picture alliance
Text: Jürgen Löhle

Die Pelzmäntel der Frauen in der Fußgängerzone Corso Italia sind oft bodenlang, die Sonnenbrillen ziemlich groß, dafür die Hündchen auf den Armen einiger Flaneurinnen so winzig, dass man sie kaum ausmachen kann. Dazwischen wuseln Menschen in bunter Funktionskleidung und klobigen Skistiefeln an den Auslagen der Boutiquen vorbei. Die Pisten von Cortina d’Ampezzo sind nur ein paar Meter entfernt, aber darum scheint es hier nicht nur zu gehen.

Was für ein Kontrast: Knapp 40 Kilometer entfernt liegt Sexten, klassisches Südtirol. Die Menschen dort sprechen Deutsch, Pelze sieht man eher selten, und in der Sauna muss man keine Badehose tragen. Aber nach ein gaspaar Kilometern durch den Naturpark Drei Zinnen taucht man ein in die Provinz Belluno in Venetien. Gerade geht es noch über den Schluderbach, dann steht man in Italien. Cortina d’Ampezzo atmet den alten Charme eines alpinen Nobelorts. Flanieren und das Glas Prosecco auf der Sonnenterrasse sind mindestens so wichtig wie ein sauberer Carvingschwung im Hang. Der internationale Jetset zelebrierte seit Mitte des 19. Jahrhunderts in Cortina sprichwörtlich la Dolce Vita.

Deshalb und wegen des unvergleichlichen Panoramas etablierte sich die kleine Gemeinde in den Dolomiten als Drehort für zahlreiche internationale Filmproduktionen. So lieferte sich beispielsweise 1981 Schauspieler Roger Moore in seiner Rolle als britischer Geheimagent James Bond in dem Film „In tödlicher Mission“ eine wilde Verfolgungsjagd durch den Ortskern mit seinen Gegnern. In dem Film verewigt sind unter anderem das Eisstadion Cortina, die Bobbahn und die Skisprungschanze – Sportstätten, die daran erinnern, dass in dem Bergort 1956 schon einmal Olympische Winterspiele ausgerichtet wurden.
  
In gewisser Hinsicht scheint die Zeit hier stehen geblieben zu sein. Das sieht und spürt man auch in den Hotels, in denen man im Speisesaal noch bauchige Rotweinflaschen in Basthüllen findet und Serviettenetuis aus Kunstleder. Dabei hat die Stadt mit den drei rund um den Talkessel verteilten Skiarenen Faloria, Tofana und Cinque Torri/Lagazuoi alles, was Skifreaks so brauchen. 38 Bergbahnen, 120 Kilometer Pisten und dazu auf der ehemaligen Olympiastrecke Tofana mit dem weltberühmten „Schuss“ zwischen den Felstürmen eine fordernde und landschaftlich atemberaubend schöne Strecke. Hier stürzen sich alljährlich auch die weltbesten Skifahrerinnen beim Weltcup mit Tempo 120 hinunter. Es geht natürlich auch langsamer, aber auf keinen Fall bedächtig. Bei 64 Grad Neigung ist nicht viel mit quer fahren. Aber niemand muss in die Passage, es gibt eine Umfahrung.
  
Skirennläufer Kristian Ghedina im Jahr 2006 bei den Olympischen Winterspiele in Turin. Der heute 50-Jährige lebt in Cortina d‘ Ampezzo. Foto: Pro Imago Sport
Skirennläufer Kristian Ghedina im Jahr 2006 bei den Olympischen Winterspiele in Turin. Der heute 50-Jährige lebt in Cortina d‘ Ampezzo. 
Foto: Pro Imago Sport
Nach dem Skifahren heißt es in Cortina sehen und gesehen werden. Im Liegestuhl in der Sonne fläzen und bunt beschirmte Drinks schlürfen, muss sein. Aber das könnte sich ein wenig ändern, in den kommenden Jahren steht in den Dolomiten der Sport im Fokus. 2021 gastiert die alpine Ski-WM im Ort, und 2026 lädt Cortina zusammen mit Mailand zu den Olympischen Winterspielen ein. Alle alpinen Skiwettbewerbe, aber auch die Titelkämpfe für Rennrodler, Bobfahrer und Curling-Teams finden hier statt.

Für die Frauen gibt es bereits die berühmte Weltcup-Strecke an der Tofana, die der Männer wird im März 2020 beim Weltcupfinale eingeweiht. Auch sie wird spektakulär, dafür steht schon der „Bauherr“. Kristian Ghedina, Skirennläufer von 1988 bis 2006, fünfmal bei den Olympischen Winterspielen am Start, zwölf Weltcupsiege in der Abfahrt, darunter 1995 auf der Streif in Kitzbühel. Auf der Piste im Tiroler Unterland wurde Ghedina 2004 vollends zum Volkshelden, als er bei Tempo 140 im Zielsprung zur Gaudi im Flug die Beine spreizte.

Warum? „Ich hatte mit meiner Schwester um eine Pizza und ein Bier gewettet“, sagt er und strahlt. An die Szene erinnern sich die Skifans weltweit noch heute. Ghedina wurde Sechster, er dachte, es sei sein letztes Rennen auf der Streif – aber fuhr dann doch bis Olympia 2006 in Turin weiter.
  
Roger Moore als James Bond in dem Film „In tödlicher Mission“ von 1981. Fotos: picture alliance
Roger Moore als James Bond in dem Film „In tödlicher Mission“ von 1981. Fotos: picture alliance
Jetzt hat er die Männerstrecke mitentwickelt. Dazu gehört auch ein „Ghedina-Sprung“, der gut 60 Meter weit gehen soll. „Sonst hätte ich meinen Namen nicht hergegeben“, sagt er. Klar, der 50 Jahre alte Spaßvogel fährt heute noch rasant Ski. Den Blick in die Zukunft fordert er übrigens auch für seinen Heimatort Cortina. Die Erben der touristischen Gründer seien etwas träge, was die Modernisierung der Hotels angeht, meint er. Aber das hat auch seinen Charme.

Auf den Pisten ist das anders: In den Hängen Cortinas stehen noch Lifte, „mit denen damals Toni Sailer bei seinem Olympiasieg hochgefahren ist“, sagt Kristian Ghedina.

Gegen das, was im Jahr 2026 auf den Ort zukommt, war Olympia 1956 aber nur ein besseres Sportfest. Der Ort, in dem die Einheimischen übrigens Ladinisch sprechen, einen romanischen Dialekt, der nur in den Bergen vorkommt, wird sich also wandeln. Mondän wird er bleiben, Lifte und Pisten werden dazu passend auf Topniveau gebracht. Ob das dem Flair schadet, muss man sehen.

Es ist aber gut möglich, dass die Aufrüstung gar nicht besonders auffällt und die Pelzdichte bleibt. Viele Gäste, die zur Wintersonne in die Dolomiten reisen, genießen die grandiose Kulisse mindestens so wie die Abfahrten. Das kann jeder bestätigen, der seinen Blick über die Felstürme hat schweifen lassen, die sich überall in den blauen Himmel recken.
 
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